Holle Eisenblätter
Künstlerischer Werdegang
1960-64 Studium an der Akademie der Bildenden Künste München
1975-92 Künstlerkreis Ammersee
1984-92 GEDOK
Einzel- und Gruppenausstellungen:
1978 Galerie Europa, München
1979 Kunstverein Gauting
1980 Taubenturm Diessen
1982 Galerie Schuster, München
1984 Künstler vom Ostufer, Herrsching
1986 Stadtmuseum Weilheim
1987 Rinkvilla Diessen
1989 Rauthaus Tutzing
1991 Stadtmuseum Weilheim
Ankauf durch die Bayrischen Staatsgemäldesammlungen
(1940 – 1992)
ET IN ARCADIA EG0
Holle. In Herrsching. Bei gutem Wetter sah man sie mit dem Fahrrad hinausstreben in die freie Landschaft. Die Staffelei ans Rad gebunden. Hinten im Korb die Farben und die Leinwand. Sie malte in der Landschaft. Mit Pinsel und Farben ergriff sie Besitz von Natur und Naturräumen. Malen war ihr Weltaneignung und -orientierung, in intensiver und ernsthafter Betätigung. In den ersten freien Bildern, entstanden noch in der Akademiezeit (1960-64), in der sie Schülerin von Professor Kaspar war, ist die winterlich-karge Landschaft freilich noch Kulisse, zufällig beliebiger Ort des Geschehens, das bildhaft dargestellt wird. Mummenschanz, Maskenspuk. Maskierung, Verkleidung, formiert zum volkstümlich-karnevalesken Umzug. Die kraftvolle Inszenierung erinnert an die kultischen Ursprünge der Maskenrituale, in der Vorzeit eines primitiveren Menschseins. Wild, fremd, inkonventionell und anderszeitig wirken die Fastnachtszüge. Dämonisch-heidnisch erscheint der Weltentwurf. Mit derartigen Maskenumtrieben waren einst Frühlingsrituale verbunden, in denen Dämonen und Geister gebannt, und der Frühling und das Wachstum heraufbeschworen wurden. Holles Maskenmenschen sind in fast kindlicher, weil sehr ursprünglicher Schablonenhaftigkeit dargestellt. Vereinfachte Übertreibung, übertriebene Vereinfachung, wie sie auch den Masken selbst eigen sind. Das beschränkte gestalterische Mittel, das Plan-Plakatives produziert, wird zu Holles Markenzeichen, bekommt für ihr Schaffen Zeichencharakter.
Schönberg, bei Rottenbuch im Pfaffenwinkel. 1965-72. Im oberbayerischen Alpenland, mit seinen bewaldeten Moränenzügen und kleinen Seen und Tümpeln, von den Gletschern der Eiszeit gestaltet. Hier gilt ihr Bemühen ganz der umliegenden Landschaft. Ohne naturalistisch zu wirken, gestaltet sie Natur, Wälder, Felder, Wiesen, Hügel, Berghänge, wie sie sich strukturbildend dem Auge darbieten. Sie werden zur formalen Lösung des Bildaufbaus. In allen Farbnuancen und Schattierungen von Grün, Braun und Blau, die die unterschiedlichen Jahres- und Tageszeiten und die Witterungsbedingungen immer neu und anders inszenieren. Es sind keine topografisch genauen Ansichten, die da entstehen, dennoch ist die ldentität der Landschaft eindeutig und unverwechselbar. Ihre suggestive Kraft freilich erhalten die Bilder schon jetzt durch die kompromisslos-kraftvolle Setzung der Farbkomplexe.
Reisen führen Holle nach Mittelamerika. Nach Griechenland. (1972). Die Landschaftsimpressionen, die sie nach Hause bringt, sind dem Ideal der Schlichtheit und der klaren Form verpflichtet. Ohne Kontraste von Licht und Schatten schaffen sie ornamentale Landschaftsgefüge, die flächig zweidimensional das Bildformat in große Farbkomplexe gliedern. In bewusster, künstlerischer Entscheidung werden räumliche Verhältnisse umgedeutet. Die lapidare Einfachheit der Setzungen formt die konkreten Erscheinungen dieser von Menschenhand geprägten und geformten Kulturlandschaften zu fast geometrischen Flächen, die das Auge gleichsam von oben in breitangelegter Totale überblickt. Der Mensch scheint in ihnen nur noch in den Spuren seiner Art zu leben. Eine sehr aufgeräumte Welt zeigt sich in diesen stillen Kompositionen, die Ideallandschaft eines Arkadien, wo Friede und Eintracht herrscht, Stille und Harmonie, wo alle Gegensätze aufgehoben sind.
Die mediterranen Kulturlandschaften, die Holle auf ihren Reisen nach Apulien, Umbrien, Kreta und dem Pelion kennenlernt, beschäftigen sie nachhaltig. Bewusst macht sie für ihr Schaffen die traditionelle Perspektive bedeutungslos. „So weit das Auge schweift” ist die implizit mitformulierte Devise. Im Aufblick nehmen die Naturformen und Wirklichkeitselemente Zeichencharakter an. Breitflächige, leuchtende Farbkomplexe strukturieren die Kompositionen zu fast ornamentalen Binnenformen von Landschaftlichkeit. In beherzter Pinselschrift wird die vielfaltige Unendlichkeit der Szenerie zu kompakten Farbkomplexen reduziert. Das Vegetative wird farblich und formal ins Ornamentale gewandelt. Der Bildaufbau gewinnt in dieser Vereinfachung eine Atmosphäre von feierlichem Ernst. Neben der weiten Totale finden sich verstärkt auch Detailinszenierungen von Felsstrukturen und Baumgruppen.
Diese Beschäftigung mit kleinen Inszenierungen - die Ufersteine, die durchs Wasser schimmern, Schilfrohre, die Schneeflächen ausrastern, Eisbrüche, die nach Stürmen die See-Fläche modulieren - setzt sich in ihren Ammerseebildern fort. 1986 kann sie ein Atelier unmittelbar am Wasser gelegen anmieten. Der jahreszeitliche Wandel intensiviert ihre Beziehung zur heimischen Natur, deren Motive nun zum Thema ihrer Arbeiten werden. Auch hier stilisiert sie die Wirklichkeit um zu Bildidentitäten eigener Art. Obwohl die Landschaftstotalen wieder aus erhabener Position zu Überblicken arrangiert sind, sind die Liniensysteme und Farbkompositionen wesentlich dynamischer als in den, das ruhige, auf sich selbst bezogene Dasein der mediterranen Landschaften darstellenden Arbeiten. Wie in den Schönberg-Bildern auch, ist die künstlerische Gemachtheit in der festen Setzung der pastosen, fleckenhaften Farbelemente spürbar.
Die Inspiralion zu ornamental-flächigen Farbstrukturationen liefern ihr die Illustrationen eines alten Biologiebuches: Fossile Diatomeen, längliche und bilaterale, rundliche und zentrische Kieselalgen, wie sie sich in Kieselgur und Tiefseeschlamm absetzen. Einzeller, organische Grundstrukturen des Lebens. Sie sind der gedankliche Ausgangspunkt für eine Serie groflächiger Arbeiten, die im Atelier in Wilzhofen entstehen. (1988/89). Zur Symbolhaftigkeit dieser Bilder hat sie sich geäußert: „Sie sollen dem Betrachter Freiraum für seine Gedankenverbindungen geben, wenn er die einzelne Form als Individuum versteht, das seinen Platz in der Gesellschaft einnimmt.” (1989).
Kunsttheorien und das Theoretisieren haben Holle nie interessiert. Über ihr konsequentes und starkes Werk hinaus, mit dem sie darstellt, was sie sah und wie sie es verstand, gibt es sonst keine Versuche, ihre Malweise selbst zu deuten. Die unmittelbare, spontane Umsetzung des Gesehenen war ihr immer das eigentlich Wichtige. Nach den feinstrukturierten, gedämpften Farbkompositionen der mikroskopischen Urformen, gibt die ländliche Arbeitswelt um den Ort Wilzhofen ihr neue Formen vor. (1990/91). Ackergerät, Eisenbahnzüge, die Reinigungsfahrzeuge der Müllabfuhr. Der Bahnhof. Kindhaft-heiter, in kräftigen Farben gliedern sie, reduziert zu kräftigen Farbmustern, die Bildflächen. Die Objekte werden durch die spontane, willkürliche Farbgebung, die sich nicht an der Realität orientiert, zu phantasievoll-phantastischen Kunstobjekten verfremdet. Über seine Gerätschaften aber und gelegentlich sogar selbst, reduziert zur fächigen Minimalstruktur naiver Ursprünglichkeit, hat nun der Mensch in ihrem Schaffen wieder Raum gewonnen.
Dem Funktionslosgewordenen, dem Ausrangierten, verhilft sie in ihren Kästen, Collagen und Objektkompositionen zu ästhetischer Würde jenseits ihres verlorenen Gebrauchswertes. Seit Jahrhunderten ist der Sammelkasten als Kult- und Kunstobjekt in der religiösen und profanen Welt präsent, als Reliquienschrein, als Objektkasten der modernen Kunst. Gegenstände und Relikte aus Alltag und Vergangenheit stellt Holle zu sehr poetischen und privaten Kompositionen zusammen. Scheinbar zufällig zusammengebrachte Hinterlassenschaften werden über das, die Ansammlung und die Reihung bestimmende Prinzip zur ästhetischen Struktur, in der jedes Ding seinen festen Platz einnimmt und damit bedeutungsvoll wird. Das inspirierende, ordnende Sehen des Sammlers und Künstlers schafft aus Farben, Formen, Funktionen und Materialzuständen denkmalhafte Kunstwirklichkeiten, die dem Funktionslosen, Kaputten, Verrosteten und Verformten, dem ein für allemal dem Kreislauf ökonomischer Aktivitäten Enthobenen, ein neues und dauerhaftes Leben in der Kunst verleihen.
Ingrid Ostheeren